- Tanja Vießmann-Schmell

- 5. Nov.
- 6 Min. Lesezeit
Warum wir keine Woche für psychische Gesundheit brauchen, sondern nachhaltige und sinnvolle Lösungen – individuell, politisch und gesamtgesellschaftlich
Von 10 - 20 Oktober 2025 gab eine Aktionswoche für seelische Gesundheit. Es ist schön, dass es so eine Woche der seelischen und psychischen Gesundheit gibt.
Aber wäre es nicht noch schöner, wenn wir solche Aktionswochen nicht bräuchten und endlich bei den wahren Ursachen ansetzen würden – statt immer nur an den Symptomen herumzudoktern?
Aus eigener Betroffenheit habe ich mich in den letzten 5 Jahren nochmal sehr intensiv mit dem Thema seelische uns psychische Gesundheit beschäftigt. Denn damals habe ich am eigenen Leib erfahren, dass Systeme versagen, wenn wir ihre Hilfe am dringendsten brauchen und das wollte ich ändern, zum höchsten Wohl aller Beteiligter. Denn mein Fall war und ist kein Einzelfall!
Besonders die für uns als Familie existenzgefährdenden Coronamaßnahmen haben mich in einen Zustand von permanentem Stress versetzt und extrem dazu beigetragen, dass mein Nervensystem kollabiert ist.
Ich habe in den letzen 5 Jahren intensiv versucht an vielen meines Erachtens verantwortlichen Stellen und vor allem politisch etwas in Bewegung zu setzen, was ich dabei erlebt habe, war menschenunwürdig und desillusionierend. Wenn ich nicht die gottgegebene Gabe hätte, in allem einen höheren Sinn zu sehen und gestärkt daraus hervorzugehen, wäre ich menschlich eher daran zerbrochen.
Selbst mein Vortrag auf der Tagung der Deutschen Polizeigewerkschaft an der Akademie für politische Bildung im März diesen Jahres zum Thema „Stresstest für die Gesellschaft - Umgang mit psychischen Belastungen im öffentlichen Raum- hat zumindest nach meinem Empfinden nicht die Wirkung ausgelöst, die ich mir gewünscht hätte.
Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, das wir uns alle einmal fragen, warum wir überhaupt so eine Woche brauchen?
Warum sind die Praxen überfüllt, warum warten Menschen monatelang – manchmal über ein Jahr – auf einen Therapieplatz?Was belastet uns seelisch wirklich?
Und was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass psychische Erkrankungen, gerade seit den Coronajahren, so stark zunehmen?
Warum erkranken immer mehr Menschen psychisch/seelisch? Aber auch chronisch? Leben wir kontinuierlich im Stress- und Überlebensmodus?
Was läuft schief in unserem Leben, in unserer Gesellschaft?
Welche Rahmenbedingungen brauchen wir individuell/systemisch/politisch um unsere körperliche und mentale Gesundheit zu erhalten ?
Vielleicht sollten wir uns fragen:
Leben wir als Menschen noch artgerecht?
Oder sind wir längst in einer Dauerüberforderung gefangen – getrieben von Erwartungen, Leistungsdruck und wirtschaftlicher Unsicherheit?
Sind unsere Grundbedürfnisse nach Liebe, Sicherheit und Zugehörigkeit überhaupt noch erfüllt?
Geht es wirklich noch um kontinuierliches Wirtschaftswachstum, auf kosten unserer Umwelt und unserer Gesundheit?
Was passiert mit Kindern, die von klein auf lernen zu funktionieren, statt zu fühlen?
Wenn sie schon früh fremdbetreut werden müssen, damit Familien ihre Grundbedürfnisse erfüllen können, dabei aber die Betreuungsschlüssel miserabel sind und die Betreuungskräfte am Limit laufen?
Was macht es mit Kindern, wenn sie ständig verglichen, bewertet und überfordert werden?
Wenn kaum noch Raum bleibt für individuelle Bedürfnisse, Fantasie und freies Entdecken?
Wie viele Talente, wie viel Kreativität, wie viel Lebensfreude ersticken wir schon im Keim, weil das System kaum Platz lässt für Einzigartigkeit?
Und wie gehen wir mit unseren älteren Menschen um – mit jenen, die Lebensweisheit und Geschichte in sich tragen?
Wie steht es um die Altenbetreuung und die Belastung des Pflegepersonals?
„Den Bewusstseinszustand einer Gesellschaft erkennt man daran, wie sie mit ihren Kindern, alten Menschen und Menschen in Not umgeht.“
Tanja Vießmann-Schmell
Wie bewusst gehen wir miteinander um?
Begegnen wir uns noch mit Respekt, Mitgefühl, Achtung und Würde – oder verlernen wir gerade, menschlich zu sein?
Vielleicht ist es Zeit für ein neues Bewusstsein.
Eines, das Körper, Seele und Geist wieder als Einheit begreift.
Denn wir können die Probleme der Welt nicht auf der gleichen Ebene lösen, auf der sie entstanden sind.
Lass uns innehalten und daran erinnern: In der Zeit des Wandels, mit all den Krisen, haben wir die Möglichkeit, uns neu auszurichten. Nicht nur als Individuen, sondern als Gemeinschaft.
Es geht um Mitgefühl – für uns selbst und für andere.
Es geht um Verbindung – echte Beziehungen, nicht nur Funktionieren.
Es geht um Ehrlichkeit – mit unseren Gefühlen, mit unseren Kindern, mit unseren Systemen.
Und es geht um Verantwortung – nicht nur für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.
Wenn wir unser Bildungssystem, unsere Betreuungssysteme, unsere gesellschaftlichen Normen nicht verändern, dann überlassen wir die Generationen der Zukunft einem Alltag voller Überlastung.
Wir brauchen ganzheitliche Ansätze, die Ursachen an der Wurzel berühren – statt nur Symptome zu behandeln.
Statt einer Aktions-Woche brauchen wir:
Frühförderung von Bindung, Sicherheit und Beziehung: In den ersten Jahren ist das Fundament gelegt. Wenn Kinder dort sicher sind, Liebe und Geborgenheit erfahren, wirkt sich das lebenslang positiv auf Gesundheit und Belastbarkeit aus.
Betreuung und Bildung mit Qualität und Beziehung: Betreuungsschlüssel, feste Bezugspersonen, liebevolle Eingewöhnung, wenig Trennung – das schützt Bindung und reduziert Stress.
Bildungssystem, das Menschsein in den Mittelpunkt stellt: Individualität, Förderung statt Vergleich, Raum für emotionale Entwicklung, Seelisches so ernst nehmen wie Kognitives.
Regeneration und Gesundheit als Teil des Alltags: In Schule, Ausbildung, Beruf müssen die Selbstheilungskräfte des Körpers und die psychische Gesundheit ganz konkret eingebaut sein – Pausen, Gemeinschaft, Verbindung, Achtsamkeit.
Gesellschaftliche Kultur- und Werte-Veränderung: Mitgefühl, Verbindung, Ehrlichkeit, Verantwortung – statt Konkurrenz, Leistung um jeden Preis, Einsamkeit.
Wir brauchen Systeme, die heilen, nicht erschöpfen.Und wir brauchen endlich ein neues Bewusstsein für die wahren Ursachen psychischer Belastungen und Traumata – für die Verletzungen, die Generationen überdauern, die sich in Familien, in Institutionen und in der Gesellschaft fortsetzen.
Solange wir Schmerz, Angst, Schuld und Scham nur verdrängen, statt sie zu verstehen und bewusst zu integrieren und damit zu lösen, werden wir ihn immer wieder reproduzieren – in neuen Formen, in neuen Krisen.
Dauerstress wirkt sich körperlich wie psychisch aus: Das Nervensystem bleibt im „Alarm“-Modus, der Parasympathikus kommt kaum zur Ruhe, Regeneration wird gestört, Entzündungen steigen, Selbstheilungskräfte schwächen sich.
Das heißt konkret: Wenn wir nicht systemisch gegensteuern – in Schule, Betreuung, Gesellschaft – dann wird psychische und physische Belastung kontinuierlich zunehmen.
Doch wenn wir beginnen, hinzusehen, zu verstehen und zu fühlen, können Heilung und echte Veränderung entstehen. Wenn wir früh Sicherheit und Bindung stärken, wenn wir Bildung neu denken, wenn wir menschliche Werte zurück in den Alltag bringen – dann aktivieren wir Selbstheilungskräfte, reduzieren Dauerstress und schaffen Raum für wirkliche Gesundheit.
Dazu gehört auch, Verantwortung zu übernehmen – individuell, gesellschaftlich und politisch.
Wir müssen uns fragen: Wofür setzen wir unsere Ressourcen ein?
Wie kann es sein, dass Milliarden an Steuergeldern in Kriegspropaganda, Aufrüstung, Waffenlieferungen, Angst- und Panikmache, in überbordende Bürokratie und endlose politische Streitereien fließen –während gleichzeitig in so essenziellen Bereichen wie einer menschenwürdigen Altenpflege, einer kindgerechten Betreuung mit ausreichendem Betreuungsschlüssel, einem funktionierenden Gesundheitswesen, in Familienförderung und echter sozialer Unterstützung das Geld fehlt?
Wie wollen wir Heilung fördern, wenn wir Systeme aufrechterhalten, die ständig neue Wunden schlagen?
Die Chance dieser Krisenzeiten liegt vielleicht genau darin:dass sie uns zwingen, uns wieder auf das Wesentliche zu besinnen.Wieder ganzheitlich zu denken.Wieder menschlich zu handeln.
Veränderung beginnt immer bei jedem Einzelnen.
Was also kann ich tun, um psychisch stabil zu bleiben – gerade in fordernden Zeiten?
Hier sind einige Impulse:
Frage Dich: Wie fühle ich mich? Wo fühle ich mich überfordert, abgeschnitten, fremd gesteuert?
Achte auf die frühen Jahre – in Dir und in Deinen Kindern: Wie war/ist die Bindung? Wie stabil ist der Alltag?
Atme bewusst. Mehrmals täglich. Komme ins Hier und Jetzt.
Reduziere Medienkonsum – besonders Angst- und Krisenmeldungen.
Bewege dich regelmäßig, am besten draußen in der Natur.
Pflege soziale Kontakte – echte, nährende Begegnungen.
Gönn dir Stille – Zeit ohne Ablenkung und Reizüberflutung.
Achte auf deinen Körper – Ernährung, Schlaf, Bewegung, Berührung.
Übe Dankbarkeit – richte den Blick auf das, was gut und lebendig ist.
Setze klare Grenzen – sag Nein, wenn dein Inneres danach ruft.
Suche Sinn – tue Dinge, die dich erfüllen, glücklich machen und nähren.
Pflege Mitgefühl – mit dir selbst und mit anderen.
Sprich Deine Wahrheit und über das, was dich wirklich bewegt – auch, wenn Deine Stimme zittert, weil das, was ausgesprochen wird, beginnen kann, sich zu wandeln.
Wenn Du ein Kind hast oder arbeitest mit Kindern: Frage nach Qualität von Betreuung, Zeit für Beziehung, Raum für Ruhe und Spiel.
In Schule oder Beruf: Setze Dich für Räume ein, in denen nicht nur Leistung zählt, sondern Menschsein.
In der Gesellschaft: Stimme mit ein für Werte wie Mitgefühl, Verbindung, ehrliche Kommunikation und Verantwortung.
Diese Woche der psychischen Gesundheit sollte uns alle daran erinnern, dass Heilung auf allen Ebenen geschieht und geschehen muss – körperlich, seelisch, geistig und sozial.
Dass wahre Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit ist, sondern das Vorhandensein von Sinn, Liebe, Sicherheit und Verbindung.
Lass uns nicht nur in einer Woche der psychischen Gesundheit dran arbeiten – sondern jetzt, jeden Tag.
Vielleicht beginnt echte psychische Gesundheit nicht in der Therapie,sondern in der Art, wie wir leben, wie wir lieben, wie wir miteinander umgehen.
Denn am Ende heilt kein System.
Es heilt der Mensch – im Menschen.
Und es beginnt – bei dir, bei mir, bei uns allen.




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